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Wachstumsreglerstrategie 2022 in Getreidebeständen für Schleswig-Holstein

Die von Jahr zu Jahr sehr unterschiedlichen Rahmenbedingungen verlangen angepasste Strategien in der Intensität und Terminierung von Wachstumsregler-Maßnahmen. Natürlich kann auch die Mittelwahl Einfluss auf den Erfolg oder Misserfolg standfester Getreidebestände nehmen. Von sehr viel größerer Bedeutung sind aber präventive Maßnahmen (zum Beispiel der Anbau standfester Sorten und die Vermeidung zu früher Saattermine) sowie eine optimale Terminierung der Wachstumsregler-Maßnahmen unter Berücksichtigung der Witterungsbedingungen, Wasser- und Nährstoffversorgung und den Entwicklungsstadien der Getreidekultur.

In lagergefährdeten Getreidebeständen ist viel Fingerspitzengefühl in der Bestandesführung gefragt. Bild Mitte: Durch die Mittelwahl, gewählte Aufwandmenge und vor allem durch eine geschickte Terminierung kann großer Einfluss auf die mögliche Einkürzung genommen werden. Bild Links: Die Einkürzung und Stabilisierung der untersten Halmabschnitte ist nicht gelungen. Bild rechts: Ein stabiles Fundament mit festen Halmabschnitten bietet den besten Schutz vor Wetterkapriolen im Sommer. Foto: Ludger Lüders, LKSH

Sobald die Vegetation an Fahrt aufnimmt, sollten die Getreidebestände regelmäßig auf ihren Entwicklungszustand überprüft werden. Ist der erste Knoten zirka 1 bis 2 cm vom Bestockungsknoten entfernt, sollten bei wüchsiger Wetterlage erste Wachstumsreglermaßnahmen durchgeführt werden. Fotos: Ludger Lüders

Eine Einschätzung aufgrund der aktuellen Situation soll die diesjährige Strategiemaßnahmen zum Einsatz von Wachstumsreglern unterstützen:

Basiswirkstoffe zur Einkürzung und Stabilisierung der Getreidekulturen:

  • Chlormequatchlorid (CCC-720),
  • Trinexapacethyl (Moddus,Prodax),
  • Mepiquatchlorid (Medax Top),
  • Prohexadion (Medax Top, Prodax) und
  • Ethephon (zum Beispiel Cerone 660)

Mögliche Szenarien

Viele verschiedene Szenarien sind möglich, die einen unmittelbaren Einfluss auf die Wachstumsreglerstrategie des Getreides nehmen können:

  • Stabile Hochdruckwetterlage seit Anfang März
    Sofern in der zweiten Märzhälfte keine nennenswerten Niederschläge fallen, werden auf vielen Flächen die ersten stickstoffhaltigen Düngemaßnahmen nicht wirksam. Das wird sich wiederum auf die Bestockung der Getreidebestände beziehungsweise zulasten der Bestandesdichte auswirken. So könnten bei günstiger Wetterlage auch geringere Wachstumsregler-Intensitäten stabile Getreidehalme hervorrufen. Als praktizierender Ackerbauer steht man also in jedem Jahr vor der großen Herausforderung, die Lagergefahr der Getreidebestände richtig einzuschätzen und in diesem Zusammenhang die Wachstumsregler-Maßnahmen in Intensität und Terminierung optimal an die jahresspezifischen Rahmenbedingungen anzupassen.
  • Lageranfälligkeit der Sorte
    Bereits die Sortenwahl hat einen entscheidenden Einfluss auf die Standfestigkeit der Getreidebestände und die daraus resultierende notwendige Wachstumsregler-Intensität im Frühjahr. Mit der Züchtung von Kurzstrohhybriden hat sich beispielsweise die Standfestigkeit vom Winterweizen erheblich verbessert. In allen modernen Weizensorten sind heutzutage Kurzstrohgene eingekreuzt. Dennoch bestehen Unterschiede in der genetischen Ausstattung, sodass die einzelnen Sorten verschiedene Wuchshöhen aufweisen und zudem beim Einsatz von Wachstumsregulatoren unterschiedlich in der Einkürzung reagieren. Beide Parameter nehmen Einfluss auf die Standfestigkeit, sodass sich die Sorten in der Lageranfälligkeit unterscheiden. Deshalb sollten die agronomischen Eigenschaften der Sorten wie Standfestigkeit, oder bei der Wintergerste auch die Neigung zum Halm- und Ährenknicken, bei der Wachstumsregler-Strategie keinesfalls unberücksichtigt bleiben. In der Beschreibenden Sortenliste des Bundessortenamtes wird jede Sorte nach ihrer Lageranfälligkeit und agronomischen Eigenschaften benotet.
  • Einfluss der Bestandesdichte
    Einen häufig unterschätzten Einfluss auf die Lagergefahr haben hohe Bestandesdichten. In der Schossphase treiben sich die Getreidehalme gegenseitig in die Länge und erhöhte Wachstumsregler-Iintensitäten werden notwendig, um ausreichende Effekte auf die Stabilisierung und Verkürzung der Getreidehalme zu erreichen. Der Grundstein wird bereits mit der Herbstaussaat gelegt, denn je früher die Aussaat, desto stärker ist die Bestockung der Pflanzen und je mehr Nebentriebe werden gebildet. Saattermin und Saatstärke müssen daher aufeinander abgestimmt sein, um die gewünschte Bestandesdichte von 500 bis 650 ährentragenden Halmen/m², in Abhängigkeit der Getreidekultur, Sorte und Standorteigenschaften, zu erreichen. Diese Erkenntnis ist mit Sicherheit nicht neu. Das Zusammenspiel zwischen Saatstärke und Saatzeit gestaltet sich aber immer schwieriger, da eine unkalkulierbare Herbst- und Winterwitterung einen entscheidenden Einfluss auf die Bestockung nimmt. In den vergangenen Jahren waren bei warmer Herbstvegetation und milden Wintern frühe Saaten im September einem erheblichen Risiko ausgesetzt, sich zu stark zu bestocken. In den vergangenen Jahren waren aber auch zu dünne Bestände, verursacht zum Beispiel durch mangelnden Feldaufgang oder extreme Herbstnässe, keine Seltenheit. In dünneren Beständen gelangt wiederum mehr Licht an die Halmbasis und unterstützt eine natürliche Stabilisierung. Dadurch bleiben Getreidehalme kürzer und standfester.
  • Stabiles Fundament schaffen
    Erste Wachstumsregler-Maßnahmen sind ideal in der frühen Schossphase (ES 31 bis ES 31/32) platziert, um die unteren Halmabschnitte ausreichend zu stabilisieren. Bei späteren Einsätzen ab ES 32 werden oft keine ausreichenden Effekte mehr auf die untersten Halmabschnitte erzielt. Dennoch bestimmen in der frühen Schossphase die Witterungsbedingungen den optimalen Einsatzzeitpunkt der Wachstumsregler. Unter günstigen Anwendungsbedingungen, das heißt, intensivem Pflanzenwachstum mit Tagestemperaturen über 15 °C und hoher Sonneneinstrahlung, können die Wachstumsregler ihre Wirkung optimal entfalten. Sind keine günstigen Anwendungsbedingungen erfüllt, so sollten die Maßnahmen besser verschoben werden, sofern das Entwicklungsstadium des Getreides dies noch zulässt. Alternativ sind robustere Aufwandmengen zu wählen, um ausreichende Stabilisierungseffekte bei ungünstiger Witterungslage (zum Beispiel kühle und strahlungsarme Witterung) zu erzielen.
  • Der Hebel ist geringzuhalten
    Mit dem Wachstumsreglereinsatz in der frühen Schossphase soll ein stabiles Fundament geschaffen werden. Da die letzten Halmabschnitte besonders lang werden, verfolgt die Folgebehandlung in ES 33 bis ES 45 das Ziel einer möglichst starken Reduzierung der Pflanzenlänge. In vielen Fällen wird diese Maßnahme mit dem Fungizideinsatz bei vollständiger Entfaltung des Fahnenblattes (ES 39) kombiniert. Es gilt allerdings zu beachten, dass bei einer früheren Terminierung zu ES 33 bis 37 eine stärkere Einkürzung bewirkt wird. In Jahren mit erhöhter Lagergefahr kann dies zu entscheidenden Einkürzungen führen, auch wenn eine Extradurchfahrt in Kauf genommen werden muss.

Eine Besonderheit besteht wiederum bei der Wintergerste, deren letzter Halmabschnitt sehr lang und instabil werden kann. In Sorten mit erhöhter Neigung zum Ährenknicken hat sich deshalb eine weitere Anwendung mit Ethephon bis ES 49 bewährt.

  • Vorsicht vor Stickstoffschüben
    Allgemein ist bei der Gestaltung der Wachstumsregler-Strategie auch die Wasser- und Nährstoffversorgung der Bestände stets zu berücksichtigen. Bei hohem Angebot von Nitratstickstoff oder hoher N-Nachlieferung (zum Beispiel auf einem Güllestandort) während der Streckungsphase sind robuste Aufwandmengen zu wählen. In diesem Zusammenhang sind Wachstumsregler oft gut terminiert, wenn nach längerer Trockenheit größere Regenereignisse viel Stickstoff im Boden freisetzen und dadurch mit größeren Entwicklungsschüben zu rechnen ist. Bei anhaltender Trockenheit während der Schossphase wird das Längenwachstum wiederum ausgebremst, insbesondere auf leichten Standorten ist ein sehr vorsichtiger Einsatz von Wachstumsregulatoren angeraten.

Empfehlungen zum Einsatz von Wachstumsregulatoren in der jeweiligen Getreidekultur werden in dem aktuellen „Ratgeber Frühjahr 2022 – Pflanzenschutz im Ackerbau“ der Landwirtschaftskammer dargestellt. Im Ratgeber finden sich aktuelle Übersichten zu den Einsatzmöglichkeiten, wie beispielsweise zu maximaler Aufwandmenge und Einsatztermin und den einzuhaltenden Auflagen (etwa Gewässerabstände) der zugelassenen Wachstumsregulatoren.

Ludger Lüders
Landwirtschaftskammer SH